Auschwitz und die juristische Aufarbeitung des Grauens: der Zeitzeuge Dr. Gerhard Wiese am Burggymnasium Friedberg

Vor einem interessierten, absolut stillen Publikum von über fünfzig Schülerinnen und Schülern sowie Lehrkräften und manchen Eltern erzählt der mittlerweile 97-Jährige über seine Rolle in den Ausschwitz-Prozessen, die seit 1963 vor dem Frankfurter Landgericht verhandelt wurden: Dr. Gerhard Wiese, ruhig in seinem Stuhl sitzend, konzentriert ins Mikrofon sprechend, präzise die Umstände und den Gang der Prozesse schildernd.

Gespannte Aufmerksamkeit des Publikums beim Zeitzeugenvortrag.

Der gebürtige Berliner, der 1928 in der damaligen Reichshauptstadt geboren wurde, dort aufwuchs und schließlich noch 1944 zur Wehrmacht eingezogen wurde, kam kurz vor Kriegsende in sowjetische Gefangenschaft, aus der er aber wenige Monate später wieder entlassen wurde. Nach seinem Abitur 1947 entschloss er sich, ein Jura-Studium aufzunehmen, das er in Berlin und dann in Frankfurt absolvierte. In Hessen blieb er auch als Referendar und fand schließlich seine Anstellung bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt.

Dort wurde er vom damaligen hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer 1962 „entdeckt“ und als Teil eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlerteams für die juristische Aufarbeitung der Vernichtung der Juden im KZ Auschwitz gewonnen. Jenes Ermittlerteam, das die Prozesse am Landgericht Frankfurt gegen Mediziner und führende SS-Offiziere des Konzentrationslagers vorbereitete, war seinerseits Teil einer von der hessischen Landesregierung unter dem Ministerpräsidenten Georg August Zinn initiierten personellen Neuausrichtung der Landesjustiz. Sie gelang, wenn auch mit Abstrichen, wie Dr. Wiese einräumte und es neuere wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen.

Hier sieht man den Zeitzeugen Dr. Gerhard Wiese in Begleitung von Dr. Marc Fachinger von der Projektgruppe "Zeitzeugen".

Eindringlich beschrieb Dr. Wiese, der vom Leiter der Projektgruppe ‚Zeitzeugen‘ des Bistums Limburg – Dr. Marc Fachinger – begleitet wurde, die Bedingungen und Umstände der Prozesse: das Fehlen von Akten, die zur Verfertigung der Anklageschriften notwendig waren, die schwierige Findung und Benennung von 360 Zeugen, deren emotionale Nöte bei der Schilderung ihrer Erlebnisse, die Suche nach einem angemessen großen Gerichtssaal, die Zeit- und Terminzwänge oder die Strapazen der Prozessbeteiligten bei ihrer Augenscheinnahme des KZ Ausschwitz. Besonderes Augenmerk legte der Referent auf das Verhalten der Angeklagten, die keinerlei Reue oder Verantwortungsbewusstsein zeigten, obwohl ihnen die Taten klar nachzuweisen waren. Die Strategie der damaligen Staatsanwälte – neben Wiese auch Georg Friedrich Vogel und Joachim Kügler – zielte darauf, aufzuzeigen, dass es sich bei Auschwitz um eine geschlossene Tötungsfabrik gehandelt hatte, aus der es kein Entkommen gab und alle Beteiligten das tagtägliche Grauen mitbekamen, weshalb sich die Angeklagten demnach mindestens der Beihilfe schuldig gemacht haben mussten. Dies hatte Erfolg: Immerhin 16 von 22 Angeklagten wurden schuldig gesprochen, sechs von ihnen zu einer lebenslangen Haftstrafe; einige wenige waren in den folgenden Revisionsprozessen erfolgreich.

Nach dem Prozessende wurde das ermittelnde Team der Staatsanwälte aufgelöst. Dr. Wiese selbst blieb bis zu seiner Pensionierung 1993 im Dienst der Frankfurter Staatsanwaltschaft. Seitdem hält er Vorträge an Universitäten, in Geschichtsvereinen und Historischen Kommissionen – und besonders auch an Schulen. Dies sind ihm ein besonderes Anliegen, wie er mehrfach versicherte und damit auf viel Gegenliebe bei den Schülerinnen und Schülern traf. Sie hatten sich auf Initiative ihrer Religionslehrerin Swantje Vogt hin auf diese Veranstaltung intensiv vorbereitet, viele Fragen ausgearbeitet und eine sehr angenehme Gesprächsatmosphäre in der Aula des Burggymnasiums geschaffen.

Gespannte Aufmerksamkeit des Publikums beim Zeitzeugenvortrag.

So wurden die insgesamt 90 Minuten für alle Anwesenden zu einem eindrücklichen Erlebnis; und es wurde mit den Schilderungen Wieses einmal mehr deutlich, dass es sich bei Auschwitz – wie auch bei anderen Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschland – eben nicht nur um einen „Fliegenschiss in der deutschen Geschichte“ (Alexander Gauland, AFD) handelte, von dem niemand etwas wusste, sondern um eine abscheuliche Realität, die von den Beteiligten bewusst und zielgerichtet verdrängt wurde, weil sie verdrängt werden sollte. Umso mehr gilt es, immer wieder daran zu erinnern und die letzten verbliebenen Zeitzeugen zu befragen.

Prof. Dr. Alexander Jendorff

Hier sieht man zwei Schülerinnen der Q3, die sich für ihre Schülerinnenführung bereithalten.Abwechslungsreich und informativ
Dieses Bild zeigt die Schauspieler des Wilde Shamrock Touring Theatre in Aktion."PastPort" - Zeitreise auf Englisch

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