Eine Einladung zur Zeitreise durch die Geschichte des Burggymnasiums Friedberg

Das Burggymnasium Friedberg blickt auf eine bewegte und traditionsreiche Vergangenheit zurück, die bis ins 19. Jahrhundert reicht. In der Nachfolge ihrer Vorgängerinnen – die Schillerschule und das Aufbaugymnasium – hat unsere Schule Generationen von Schülerinnen und Schülern begleitet und auf ihrem Weg zur Hochschulreife unterstützt. Mit der Fusion zur heutigen Form im Jahr 1974 vereinte das Burggymnasium zwei historische Schulgeschichten, die sich parallel und doch getrennt voneinander entwickelten, auch wenn sie vieles miteinander vereinte – so etwa der Schulstandort: die Burg! Friedberg jedenfalls wurde auf diesem Wege zu einer zentralen Plattform moderner schulischer Bildung in der Wetterau.

Auf dieser Seite finden Sie die wichtigsten Stationen unserer Entwicklung: von den frühen Anfängen über die Herausforderungen und Veränderungen in Zeiten von nationalsozialistischer Terrorherrschaft, von Kriegs- und Nachkriegszeit bis hin zur modernen Schule, die wir heute sind. Die Verknüpfung von Tradition und Innovation prägt unser Profil und ermöglicht uns, sowohl auf Bewährtes zu setzen als auch mutig neue Wege in der Bildung zu beschreiten.

Entdecken Sie unsere Geschichte und lassen Sie sich von den Persönlichkeiten und Ereignissen inspirieren, die das Burggymnasium zu dem gemacht haben, was es heute ist.

Informationen zur Schulhistorie wurden von Prof. Dr. Alexander Jendorff recherchiert und zusammengetragen. Einen ausführlichen Artikel zu diesem Thema veröffentlichte er in der Festschrift anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des Burggymnasiums. Sie ist im Schulsekretariat zu beziehen.

Prof. Dr. Alexander Jendorff

Prof. Dr. Alexander Jendorff

1827

Erste Überlegungen für eine höhere Mädchenschule

Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es Überlegungen zum Ausbau des Friedberger Schulwesens. 1827 machte der damalige Rektor der Augustinerschule – Johann Philipp Dieffenbach – den Vorschlag, in Friedberg eine höhere Mädchenschule zu gründen. Obwohl dieses Vorhaben nicht sofort umgesetzt wurde, stellte diese Idee einen ersten Schritt zu einer organisierten Mädchenbildung in der Stadt dar. Es zeigte zugleich das wachsende Bewusstsein für die Bedeutung der höheren Bildung auch für Frauen.

1905/1918

Die Gründung der Schillerschule und ihre baldige Aufwertung

Nach mehreren Jahrzehnten der innerstädtischen Diskussion beschloss die Stadt Friedberg 1878 zunächst den Ausbau der Musterschule. Sie sollte als erste größere Institution Mädchen auf eine höhere Bildung vorbereiten, ohne den Status einer reinen Mädchenschule zu erhalten. Sie ebnete sie den Weg zur späteren Gründung der Schillerschule, die 1904/05 erfolgte. Nach intensivem Bemühen der Friedberger Bürger und des Magistrats genehmigte die Darmstädter Regierung die Gründung einer eigenständigen höheren Schule für Mädchen mit dem ehemals Brendel‘schen Haus in der Burg. Mit dieser Genehmigung wurde die Rolle der Stadt in der Wetterauer Bildungslandschaft als Ort für höhere Bildung nachhaltig gestärkt. Die Schillerschule bot nun jungen Frauen die Möglichkeit einer fundierten akademischen Bildung. Mit der Eröffnung am 14. März 1905 begann für 199 Schülerinnen der Unterrichtsbetrieb, der ihnen eine Zukunft in Gesellschaft und Beruf eröffnen sollte. Noch im letzten Kriegsjahr – am 1. Juli 1918 – wurde die seit Jahren expandierende Schillerschule zur Höheren Mädchenschule umgewandelt und aufgewertet. Zum ersten Direktor der reformierten Schule wurde Prof. Dr. Reinhard Strecker ernannt, der die Aufwertung vehement betrieben hatte.

1922

Die Gründung der Aufbauschule

Dr. Georg Faber

Dr. Georg Faber (1880–1961)

Das Ende des langen Ersten Weltkriegs, die Beseitigung der Monarchien in Deutschland und die Gründung der Weimarer Republik läuteten eine Zeit des beschleunigten gesellschaftlichen Wandels ein. Er betraf in Teilen auch das Bildungs- und Schulwesen, um das – gerade im sogenannten Volksstaat Hessen – intensive Diskussionen geführt wurden. Die sozialdemokratisch geführte Landesregierung betrieb zielgerichtet eine Modernisierung des Schulwesens im Sinne der Eröffnung von Chancengleichheit. In diesem Kontext wurde 1922 in Friedberg die Aufbauschule gegründet. Ihr Zweck war es, Schülern, die aus unterschiedlichen Gründen keine reguläre Gymnasiallaufbahn absolvieren konnten, die Möglichkeit auf ein Abitur zu verschaffen. Die Aufbauschule richtete sich insbesondere an ältere Schüler, Quereinsteiger und jene, die über andere Bildungswege ihren Schulabschluss erweitern und Chancen auf eine weitere akademische Ausbildung erhalten wollten. Ihr zweiter Schulleiter wurde 1924 Dr. Georg Faber, der bis 1933 amtierte und dabei eine unheilvolle Entwicklung machte, weil er seit dem Ende der 1920er Jahre die Schulgemeinde dem völkisch-nationalistischen Gedankengut preisgab.

1925

Die ‚Goldenen Zwanziger‘ als bildungspolitische Modernisierungsjahre

So wie die Gründung der Aufbauschule einen Akt der bildungspolitischen Modernisierung darstellte, wurde auch die Schillerschule weiter reformiert und ausgebaut. In den 1920er Jahren wurde die Schillerschule in ein sechsjähriges Lyzeum umgewandelt. Schülerinnen können nun nach vier Jahren Grundschule in die Schillerschule eintreten und ihre schulische Laufbahn bis zur mittleren Reife fortsetzen. Seit 1919 war zugleich mit der Schillerschule eine eröffnete Fröbelschule verbunden. An dieser im Feldwebelbau untergebrachten Frauenschule, die kein berufsschulisches, sondern ein Vorbereitungsinstitut darstellte, wurden Fächer wie Haushaltsführung und Erziehung unterrichtet. Deshalb war ihr auch ein Fröbel-Kindergarten als praxisorientierter Ausbildungsbetrieb angeschlossen. Diese Reform festigte die Rolle der Schule als führende Bildungseinrichtung für Mädchen in der Region und erweitert die akademischen und beruflichen Chancen und Berufsspektren für Schülerinnen.

1930er Jahre

Der Beginn der 1930er Jahre: im Zeichen des schleichenden Untergangs der Republik

Mit dem Beginn der 1930er Jahre befanden sich beide Schulen in einem unübersehbaren Niedergang. Die Folgen der Weltwirtschaftskrise zwangen die Landesregierung des Volksstaats Hessen zu drastischen Einsparungsmaßnahmen, die viele Menschen in die Arbeitslosigkeit stürzten und in die Verarmung führten. Für die Schulen bedeutete diese Entwicklung die Streichung öffentlicher Gelder für Mittel und Personal, einen Rückgang der Schülerzahlen und im Falle der Aufbauschule sogar die Diskussion über eine Auflösung. Sie konnte nur unter großen Mühen an der Jahreswende 1932/33 abgewendet werden.

All dies förderte den Verdruss in der Bevölkerung über die Wirtschaftsmisere, die harten wirtschaftspolitischen Maßnahmen und die scheinbare Unfähigkeit der Politiker, die Krise zu bewältigen. Die Konsequenz war die Flucht zu den einfachen Lösungsangeboten der Nationalsozialisten, ihren verleumderischen Schuldzuweisungen und ihren Hassreden. Sie verfingen mehr und mehr, auch weil sie auf eine nationalistische Grundeinstellung stießen, nicht zuletzt beim Lehrpersonal der Aufbauschule. Gerade der Gründungsdirektor – Dr. Georg Faber, ein in der evangelischen Landeskirche engagierter Christ – radikalisierte sich in seiner Ablehnung der Weimarer Republik und einer demokratischen Gesellschaft spätestens seit dem Ende der 1920er Jahre. Als die Nationalsozialisten 1933 die Macht übernahmen, in die Regierung einrückten und die Strukturen zu verändern begannen, begrüßte er öffentlich und schriftlich diese Tage der ‚nationalen Revolution‘ ausdrücklich. Sein Amtskollege Wilhelm Konrad Philipps an der Schillerschule ließ sich im März 1933 ähnlich ein.

Mit der Etablierung der NS-Diktatur und der Beseitigung der Freiheit begann auch für die Schulen in Deutschland und Hessen eine neue Ära. Die NS-Ideologie, der völkisch-rassistische Nationalismus und mit ihr die „Verdeutschung“ der Bildungsinhalte meinten eine Verengung des Frauenbildes, insofern die Frau nur noch in ihrer völkischen Aufgabe als Mutter gesehen wurde, während der Mann als Arbeiter und Krieger zum Wohle der Volksgemeinschaft dienen sollte. Individualität als Bildungsmoment war dabei nicht vorgesehen. Dies führte unmittelbar zu tiefgreifenden Veränderungen im Schulalltag: Die Fröbelschule wurde geschlossen, Schulleiter ausgewechselt, Bildungsinhalte den neuen Normen und Zielen angepasst.

1933 – 1945

Die antiintellektuell-rassistische Diktatur und ihre schulischen Mitläufer

HJ Gefolgschaft

HJ-Gefolgschaft

Die NS-Diktatur hinterließ tiefe Spuren im Schulalltag, bei den Lehrerinnen und Lehrern ebenso wie bei den Schülerinnen und Schülern, die die Schiller- und die Aufbauschule in der Zeit nach der sogenannten Machtergreifung besuchten. Wie wenig die Nationalsozialisten die Macht „ergriffen“, sondern ausgehändigt bekamen und ungestört ausleben konnten, erwies sich am Schulalltag der beiden Schulen in der Burg. An der Aufbauschule hatte nicht nur der Schulleiter Dr. Faber die Etablierung der Diktatur begrüßt, sondern zusammen mit anderen Kollegen – darunter Heinrich Keller – an der Verwurzelung des völkisch-nationalen Gedankens frühzeitig in den 1920er Jahren gearbeitet. Das machte sich für ihn bezahlt, insofern er an eine Darmstädter Schule versetzt und aufgewertet wurde. Sein Nachfolger wurden zunächst Dr. Friedrich Knieriem und Dr. Hermann Heiland (seit 1935), beide mit dem braunen System gut vernetzt, Heiland sogar bereits seit den frühen zwanziger Jahren. Auch sonst fanden in den ersten Jahren nicht wenige, zudem neue Lehrer an der Aufbauschule, die für einen reibungslosen Schulbetrieb im Sinne der NS-Ideologie sorgten. Die Aufbauschule wurde zügig auf die ideologische Linie gebracht, bereits im März1934 eine HJ-Gefolgschaft etabliert und die Schulgemeinde zusehends militarisiert. Ziel war nicht mehr Bildung, Unterricht wich ‚Sonderveranstaltungen‘, der Einzelne wurde auf das Kollektiv hingeordnet. Gleiches galt für die Schillerschule. Opposition oder gar Widerstand fand sich in keiner der beiden Schulen, dafür viele Mitläufer.

Den Preis zahlten die Beteiligten – Lehrer wie Schüler – nicht selten mit ihrem Leben an den Fronten zwischen 1939 und 1945, während der Krieg den Unterrichtsbetrieb wenigstens in den letzten Monaten faktisch zum Erliegen brachte.

1945

Kriegsende: ein Neuanfang? – vom Schweigen, Vergessen und Verdrängen

Dr. Hans Hescher (1890-1973)

Dr. Hans Hescher (1890-1973)

Wilhelm Otto Stein (1886-1974)

Wilhelm Otto Stein (1886-1974)

Nach dem Kollaps des NS-Regimes und der amerikanischen Besatzung standen beide Schulen vor der Herausforderung, den regulären Schulbetrieb unter widrigsten Bedingungen wieder aufnehmen zu müssen. Sie eröffneten den Schulbetrieb erst im November 1945. Es fehlte an Lehrmaterialien, Gebäuden und Lehrern. Die Personalmisere verdeutlichte sich nicht zuletzt in der Auswahl der Schulleiter durch die Besatzungsbehörde: Sie setzte zunächst Dr. Hans Hescher ein, entließ ihn jedoch wieder im April 1946, als öffentlich wurde, dass Hescher einer der „Märzgefallenen“ gewesen war. Schließlich wurde 1947 mit Wilhelm Otto Stein ein unbedenklicher Schulleiter eingesetzt, der der Schule in den nächsten Jahren Ruhe und Kontinuität verschaffte. An der Aufbauschule war mit Dr. Wilhelm E. Schäfer ebenfalls eine NS-belastete Person zum Leiter bestellt worden, der es allerdings schaffte, sich im Amt zu halten.

Mit diesen Vorgängen war eines klar: Die Schulen entwickelten sich nicht zu einem Ort der Aufarbeitung der Vergangenheit – im Gegenteil. An der Aufbauschule konnte der mittlerweile zunächst versetzte, dann pensionierte, jedenfalls einschlägig ideologisch vorbelastete Heinrich Keller seine völkisch-nationale Romantik in den schulischen Jubiläumsschriften weiterverbreiten, ‚seinen’ Schulleiter Dr. Georg Faber rühmen und die Volkswohlorientierung der Schülerschaft, gar ihre heroischen Taten stilisieren. Zugleich wusste er die sich neuformierende Gesellschaft Westdeutschlands und ihre republikanische Ausrichtung erneut herabzuwürdigen. All dies geschah unwidersprochen, undiskutiert, ja sogar indirekt gefördert.

1950er und 1960er Jahre

Mädchengymnasium in der Bonner Republik und im Bundesland Hessen

Die Schillerschule um 1950

Mit der Gründung des Landes Hessen 1946 und der Bundesrepublik Deutschland 1949 änderte sich die Schulpolitik grundlegend. Wie andere Schulen wurde die Schillerschule auf eine Erziehung und Bildung des selbständig agierenden Individuums verpflichtet. Sie sollte demokratische, auf Freiheit, Gleichheit und Partizipation basierende Bildung vermitteln und fördern.

Dr. Friedrich Matthaesius (1891–1974), 1957

Dr. Friedrich Matthaesius (1891–1974), 1957

Dies vollzog sich schleppend und unter dem Druck wachsender Schülerzahlen. Denn nachdem man noch am Ende der 1940er und am Beginn der 1950er Jahre Reformen verschleppt hatte, wurde die Schullandschaft in Deutschland und Hessen mit dem Beginn der sechziger Jahre von Reformen geprägt. Teilweise wurde sie an der Schillerschule inhaltlich und kulturell vorweggenommen durch die Schulleitung von Dr. Friedrich Matthaesius. Unter ihm wurden neue Fächer eingeführt, neue außerschulische Angebote im Sinne der Berufsorientierung gemacht und politische Bildung gefördert. Wie schon sein Vorgänger warb Matthaesius intensiv um die Eltern. Dies ließ die Schülerzahlen anwachsen. Diese Gesamttendenz setzte sich mit der Übernahme der Schulleitung durch Dr. Hellmut Noisser, der seit 1956 die Schule führte, fort. Er setzte auf eine umfassende, bedingungslose Öffnung der Schule, die ihrerseits vor großen baulichen Herausforderungen stand. Zugleich schien sie als reine Mädchenschule stets in einer Bestandsgefahr zu stehen, die sich aus dem Gedanken der Koedukation ergab. Noisser hat diese Doppelproblematik – die Beseitigung des realen Raumproblems durch Beseitigung des wahrgenommenen pädagogischen Problems – messerscharf erkannt und zielte daher frühzeitig auf eine selbst gestaltete Fusion mit dem benachbarten Aufbaugymnasium.

1950er und 1960er Jahre

Von der Aufbauschule zum Aufbaugymnasium, oder: kein Blick zurück nach vorn

Dr. Gustav Wolf

Dr. Gustav Wolf in seinem Dienstzimmer an seinem 65. Geburtstag (13.05.1966)

Sporthalle_1962

Turnhalle 1962, eingeweiht am 20.12.1963

Wie für die Schillerschule stellte das Kriegsende auch für die ehemalige Aufbauschule harte Herausforderungen bereit. Die Verantwortlichen gingen an deren Bewältigung auf dem Weg der Normalisierung, d.h. durch sukzessive, pragmatische Lösung der Alltagsprobleme, durch Anpassung an die neuen inhaltlichen Bildungswünsche der Landesregierung und durch den Ausbau des schulischen Angebots bei steigender Nachfrage. So wurden am Ende der 1940er Jahre bereits 250 Schülerinnen und Schüler beider christlicher Konfessionen unterrichtet, davon ca. 30 in einer sogenannten Sonderklasse 11, in der Lernende mit der Mittleren Reife an das Oberstufenniveau herangeführt wurden. Am Beginn der siebziger Jahre bestanden derer fünf. Zudem wurde das Internat wiederaufgebaut, in dem Lernende aus dem Umfeld betreut wurden. In Fortführung der Aufwertung durch die Nationalsozialisten firmierte die Schule seit 1956 entsprechend als Aufbaugymnasium mit Internat.

Mochte der Prozess der Normalisierung in den 1950 mit einem allgemeinen, besonders aber einem bildungspolitischen Stillstandsprozess einhergegangen sein, so bedeutete dies dennoch für die ehemals fortschrittliche Schule keinen Vorteil. Spätestens mit dem Beginn der sechziger Jahre geriet sie unter Veränderungsdruck und stand vor großen Herausforderungen, die sich nicht zuletzt aus dem Großen Hessenplan des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Georg August Zinn ergaben. Mit diesem staatlichen Investitionsprogramm eröffneten sich neue finanzielle Spielräume, in der die Burg mit dem Umbau des Bindernagelschen Gebäudes sowie dem Neubau einer Turnhalle und eines Fachklassenbaus realisiert wurden. Der Schulcampus wuchs. Schärfer stellte sich die Diskussion um das Gesamtschulkonzept der Landesregierung dar, die auch vor den Friedberger Verhältnissen nicht Halt machte und Unruhe auslöste.

In dieser Situation leitete Dr. Gustav Wolf seit 1956 das Aufbaugymnasium als vollwertiges Gymnasium mit sprachlichem und naturwissenschaftlichem Schwerpunkt. Er wusste sich von Beginn an in einer komplexen Lage zwischen schulischer Selbstbehauptung und Ausbau zu bewegen. Dabei hatte er mit Dr. Hellmut Noisser einen ebenso kongenialen wie mit ihm rivalisierenden Amtskollegen an der Schillerschule, der nach Wolfs Pensionierung 1966 in Personalunion auch die Schillerschule leitete.

1970er und 1980er Jahre

Der lange Weg – wohin? Bildungsexpansion und der Prozess der beiden Schulen

Dr. Helmut Noisser

Dr. Helmut Noisser (geb. 1913), um 1990

Hellmut Noisser (letzte Reihe mittig) im Kreise seiner Kolleginnen und Kollegen, 1963

Angesichts der beschleunigten Bildungsdiskussion und Bildungsexpansion stellte sich für beide Schulen in den sechziger Jahren verstärkt die Frage, wohin es institutionell gehen sollte. Die Schülerzahlen stiegen, das deutsche Bildungssystem wurde durchlässiger, immer mehr Lernende erhielten die Chance auf eine höhere Bildung, die Nachfrage nach weiterführenden Bildungsgängen stieg. Doch wo war da der Platz für die Schillerschule und das Aufbaugymnasium? Und dies ganz praktisch: Das Burggelände schien zu beengt; gerade die Schillerschule machte schon äußerlich den Eindruck der vermieften Tradition. Mit dem Beginn der siebziger Jahre waren die Landkreise gehalten, Schulentwicklungspläne vorzulegen. Das fachte die Diskussion über die Position der beiden Schulen an – faktisch handelte es sich um eine Existenzfrage, weil mit der Projektierung einer integrierten Gesamtschule Friedberg-West zumindest die Schillerschule vor der Schließung stand.

Beide Schulen hatten das Glück, dass sie mit Dr. Hellmut Noisser einen ebenso tatkräftigen, wie reformwilligen und geschickten Schulleiter hatten. Dr. Noisser – seinerseits als junger Mensch zunächst in der Weimarer Republik, dann im NS-Regime sozialisiert – amtierte bereits seit 1956 als Leiter der Schillerschule, in der er einige Innovationen einführte. Er nahm schließlich die Kollegien beider Schulen und deren Eltern einfühlsam und doch beharrlich auf dem notwendigen Veränderungsweg mit; und diese Veränderung meinte zunächst interschulische Kooperation, dann irgendwie eine Fusion. Dabei besaß Noisser ein untrügliches Gespür für die Situation und Willenskraft, die er durchaus auch mal brachial gegenüber vorgesetzten Stellen zur Geltung kommen ließ. Er organisierte den öffentlichen Widerstand von Eltern und Schülern gegen den „Bildungsnotstand“, schaltete den Hessischen Rundfunk und andere Medien ein oder ‚meierte‘ einfach mal den Landrat wegen Saumseligkeit öffentlich ab. Selbst mit Dr. Wolf geriet er aneinander, dem der forsche Amtskollege doch ein wenig zu forsch zu sein schien. Mit Noissers Berufung zum Schulleiter auch des Aufbaugymnasiums ergab sich die Chance auf eine geordnete, zukunftssichere Fusion, die Noisser selbst seit 1967 ins Spiel brachte.

1. August 1974

Die Gründung des Burggymnasiums, oder: Fusion als großes Erwachen

Seit dem Ausgang der 1960er Jahre kooperierten die Kollegien der Schillerschule und des Aufbaugymnasiums organisatorisch miteinander. Beide Schulen hatten zusammengenommen 1973 bereits 1.400 Lernende, was eine solide Grundgröße für eine Fusion zu einem grundständigen Gymnasium (von Klasse 5 bis Klasse 13) darstellte; und zusammengenommen galten die beiden Schulen in der Burg als ‚Burggymnasien‘, wahlweise sogar schon als ‚Burggymnasium‘. Zielgerichtet steuerten die Kollegien darauf zu, vertrauend auf ihre grundständigen Strukturen und Angebote sowie auf ein veränderungswilliges Umfeld. Doch statt der Umsetzung ihrer Pläne erfuhren Noisser und seine Kollegen auf der Kreistagssitzung vom 30. November 1973 erstmals öffentlich, dass statt eines grundständigen Gymnasiums ein reines Oberstufengymnasium etabliert und die Mittelstufen in die neue IGS Friedberg-West überführt werden sollten. Dies entsprach einem zeitgenössischen Trend der hessischen Bildungspolitik. Alle Friedberger Proteste dagegen halfen nichts. Die Fusion wurde im Konflikt beschlossen, die Mittelstufen in die neue IGS – von den Zeitgenossen auch als „Wild West“ bezeichnet – überführt. Die Gründung des Burggymnasiums als Oberstufenschule des Wetteraukreises, deren endgültige Selbständigkeit 1977/78 vollzogen sein sollte, erfolgte zum 1. August 1974. Damit ging die Schließung des finanziell defizitären Internats 1975 einher. Dr. Noisser – der Taktgeber und maßgebliche Architekt der dann gegen seine Vorstellungen realisierten Fusion – wurde zum ersten Schulleiter des neuen Oberstufengymnasiums ernannt. Er wurde 1976 pensioniert.

1976 – 2024

Konsolidierung, Ausbau, Profilschärfung

Zeitungsausschnitt aus der Wetterauer Zeitung vom 31.01.1976

Zeitungsbericht zur Verabschiedung von Hellmut Noisser und Einführung von Erich Kleinschmidt

Übergangszeit: Erich Kleinschmidt

Erich Kleinschmidt übernahm 1976 die Leitung des Burggymnasiums. Die Fußstapfen Noissers, in die er trat, hätten größer nicht sein können. Doch Kleinschmidt führte die Schule in seiner kurzen Amtszeit souverän durch die Anforderungen der Konsolidierung und des Wachstums. In seiner Amtszeit wurden wichtige Strukturen etabliert, die die Schule für zukünftige Herausforderungen wappneten und den Status des Burggymnasiums als führende Oberstufenschule in der Region festigten.

1978

Die Ära Peilstöcker

Alfred Peilstöcker

Alfred Peilstöcker

Mit Alfred Peilstöcker als neuem Schulleiter seit 1978 begann eine Zeit der Stabilität des Burggymnasiums, auch wenn die immer wieder aufflammenden Diskussionen über die weitere Schulentwicklung im Kreis – namentlich der Aufbau neuer Oberstufen – einige Unruhe brachten, weil sie die Existenz des gerade erst gegründeten Oberstufengymnasiums wieder infrage stellten. Doch das bot – aus der Rückschau betrachtet – eher den Anlass, das eigene Profil weiter zu schärfen, sich den neuen inhaltlichen Herausforderungen – wie zum Beispiel der Beginn des Computer-Zeitalters – zu stellen und die formalen Vorgaben – so etwa die Einführung von Leistungskursen – pädagogisch intelligent umzusetzen. All dies gelang den Lehrenden und sogar den Lernenden. Am Ende von Peilstöckers Schulleitung 1997 stellte das Burggymnasium eine unübersehbare und geschätzte Größe als Bildungsinstitution in der Region dar, die zudem mit zwei architektonischen Sensationen aufwarten konnte: Einem Römerbad und einem gerade erst entdeckten alten Friedhof.

1997

Der Schüler als Schulleiter: Dr. Lothar F. Korger

Dr. Lothar F. Korger

Dr. Lothar F. Korger – Abiturjahrgang 1970 im Aufbaugymnasium – übernahm 1997 die Leitung des Burggymnasiums und führte die Schule in das 21. Jahrhundert. Unter seiner Führung wurden wichtige pädagogische Maßnahmen in Angriff genommen und umgesetzt, die das Burggymnasium zu einer modernen, zukunftsorientierten Schule machten. Korger leistete in seiner zwanzigjährigen Amtszeit zusammen mit seinen Fachbereichsleitern und dem Kollegium einen wesentlichen Beitrag zur Fortgestaltung der Schule entlang den Bedürfnissen der Zeit – und dies, bevor die Landesregierung es dekretierte. Daraus resultierte ein seit 1994/95 über mehrere Jahre hinweg ausgearbeitetes Schulprogramm, das nach intensiven Diskussionen 2002 von der Gesamtkonferenz verabschiedet und in den nächsten Jahren implementiert wurde. Noch heute dient es teilweise als Handlungsrahmen für die Bereiche Kompensationsangebote und Berufsberatung. Hier erwies sich das Burggymnasium in bester Tradition seiner Vorgängerinstitute als pädagogisch wegweisend, insofern es seine Grundaufgabe auf neue Weise realisierte, möglichst vielen Schülerinnen und Schülern vor dem Hintergrund ungleicher Voraussetzungen und Herkünfte möglichst gleiche Chancen und Hilfestellungen zu bieten.

Seit 2017

Schule im 21. Jahrhundert: Ingo Baumgarten

Ingo Baumgarten

Ingo Baumgarten

Seit August 2017 führt Ingo Baumgarten das Burggymnasium. Er steht vor der Herausforderung, das Burggymnasium in einer zunehmend digitalen und globalisierten Welt zu führen bei gleichzeitiger Ausbreitung von nationalem und autokratischem Denken. Baumgarten initiierte zunächst einerseits eine Neubelebung des eingeschlafenen Schulentwicklungsprozesses, andererseits musste er sich 2020/21 in erster Linie mit den Effekten der Corona-Pandemie auseinandersetzen, die zeitweise den Schulbetrieb zum Erliegen brachte und nur mittels der digitalen Instrumente am Laufen gehalten werden konnte. Auch auf anderen Feldern der Schulentwicklung wurden entsprechende modernisierende Innovationsprozesse angestoßen und vollzogen: so etwa mit dem Aufbau eines preisgekrönten Schulsanitätsdienstes und der Etablierung des Burggymnasiums als MINT-freundliche Schule, im Bereich der Prävention und sozialpsychologischen Unterstützung, der interkulturellen Beratung und Lernunterstützung. Dem entspricht auch die Implementierung einer weiter ausbaufähigen Feedback-Kultur im Kollegium. Darüber hinaus wurden unterrichtsbegleitende Maßnahmen etabliert: der für die Geschichtslernenden der Q2 verpflichtende Besuch der Gedenkstätte Hadamar oder die Initiative „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“.

Baumgarten gelang es schließlich auch, die kommunale Politik für die mittlerweile drängenden baulichen Belange des Burggymnasiums nachhaltig zu interessieren. Trotz einiger Fortschritte bleibt die zeitgemäße bauliche Umgestaltung der Schule aber eine vordringliche Aufgabe für die nächsten Jahre.