Herr Hesse und Herr Brennemann auf den Spuren von 80 Jahren Fluchtgeschichte
Der pädagogische Fachtag des Instituts für Didaktik der Geschichte der JLU Gießen zum Thema „Ambivalente Demokratiegeschichte(n)“, der am 20. November 2025 im Lern- und Erinnerungsort Notaufnahmelager Gießen stattfand, widmete sich der Vermittlung demokratischer Werte und Geschichte. Der Vortrag von Professor Michele Barricelli von der LMU München stand am Auftakt der Veranstaltung und beleuchtete die vielfältigen Dimensionen einer demokratischen Gesellschaft sowie die Herausforderungen ihrer Vermittlung an Schülerinnen und Schüler.
Das Notaufnahmelager Gießen ist seit 2025 eine bedeutende Gedenkstätte, die die Geschichte der Flucht, Vertreibung und Neubeginn während der deutschen Nachkriegsgeschichte in den Fokus stellt. Mit einer umfangreichen Dauerausstellung, modern ausgestatteten Bildungsräumen und digitalem Angebot dokumentiert das Lager die Erlebnisse der geflüchteten Menschen und trägt wesentlich zur Aufarbeitung der Demokratiegeschichte bei. Anhand von Exponaten und Zeitzeugenvideos wird auf über 500m² die Geschichte Gießens als erste Anlaufstelle für Geflüchtete seit 1945 thematisiert.

Barricelli betonte die Ambivalenz der Demokratie, die sich durch Widersprüche und Spannungsfelder auszeichnet. Demokratie sei geprägt von Gegensätzen wie Universalismus versus Subjektivismus oder Mehrheitsregel versus Minderheitenschutz. Diese Widersprüche gehören zum Wesen der Demokratie und müssten ausgehalten werden, um funktionierende demokratische Gesellschaften zu gewährleisten. Er wies auch auf die Bedeutung von Partizipation und Affektkontrolle hin, um eine stabile Demokratie zu sichern. Für Barricelli ist die reflexive Haltung eine zentrale Aufgabe der schulischen Demokratieerziehung. Ebenso sei die Auseinandersetzung mit negativen Vorbildern, etwa der NS-Diktatur, notwendig, um aus Denkmustern der Unterdrückung zu lernen, ohne diese zu instrumentalisieren. Der Vortrag stellte heraus, dass Demokratie kein Ideal der Reinheit sei, sondern ein kontinuierlicher Lernprozess, bei dem auch Widersprüche und Brüche thematisiert werden müssen. In der Fragerunde unterstrich Barricelli, dass Demokratieerziehung keine Aufgabe einzelner Fachbereiche, sondern eine Haltung aller Schulmitglieder sei. Es reiche nicht aus, nur die „sauberen“ Aspekte einer Demokratie zu vermitteln; auch dunkle Kapitel wie die Sklaverei in den USA, die mit dem Gründungsmythos verbunden sind, müssten erzählt werden. Ziel sei es, das Verständnis für Brüche und Ambivalenzen zu fördern, um eine authentische Demokratiefähigkeit zu entwickeln, die fördert mit Ambivalenzen umzugehen.
Herr Brennemann und Herr Hesse, die stellvertretend für die Fachschaft Geschichte am Fachtag teilnahmen, bezeichnen die “Gedenkstätte Notaufnahmelager” als gelungenen außerschulischen Lernort, der mit geringem Aufwand von Friedberg aus erreicht werden kann.
Arno Hesse









