Unser Ausflug nach Hadamar – ein berührender Erfahrungsbericht
Die Geschichtskurse der Q2 fuhren zwischen Montag, dem 23.06.2025 und Mittwoch, dem 25.06.2025 nach Hadamar in eine ehemalige Tötungsanstalt. Gefördert wurde die Fahrt durch den Wetteraukreis.
Zu Beginn der Exkursion verschaffte sich die dort ehrenamtlich arbeitende Betreuerin einen ersten Eindruck von unserem bisherigen Wissen. Spielerisch zeigte sie uns, dass auch wir alle in sogenannten „Schubladen“ denken. Wir alle haben Vorurteile, die uns durch unser soziales Umfeld, aber – wie sie zeigte – auch durch Film und Fernsehen eingeprägt werden. Dieses Bewusstsein nutzte sie, um uns zu verdeutlichen, wie es die Nationalsozialisten schafften, mithilfe von Plakaten und Propaganda ein negatives und minderwertiges Bild von Menschen mit körperlicher und/oder psychischer Beeinträchtigung zu vermitteln. Die Bevölkerung bekam diese Bilder so häufig vor Augen geführt, dass sie es irgendwann nicht mehr wirklich hinterfragt haben.
Wir gingen als Erstes nach draußen und bekamen das Gesetz gezeigt, das den von den Nationalsozialisten sogenannten „Gnadentod“ erlaubte. Hierbei betonte sie, dass dieses Gesetz absichtlich missbraucht wurde. Somit war ihr Handeln nach ihren eigenen Vorstellungen legal. Anschließend erklärte sie uns alles, indem sie mit uns gemeinsam den Weg ging, den die Menschen, die dort getötet wurden, ebenfalls gehen mussten. Wir starteten an der damaligen Bushaltestelle – einer einfachen, relativ großen Holzhütte. Sie erklärte uns, dass die Menschen immer von „Heilanstalt“ zu „Heilanstalt“ gebracht wurden und so gut wie nie an einem Ort blieben. In den Heilanstalten wurde zuvor ein Formular ausgefüllt, das darüber entschied, ob die jeweilige Person leben durfte oder getötet wurde. Dieses Formular durften wir uns durchlesen und stellten mit Erschrecken fest, dass sich hier nur oberflächlich mit einer Person beschäftigt wurde. Ob dieser Mensch sterben würde, entschied ein Arzt, der nur das Formular und nicht die Person selbst vor sich hatte. All das ist für uns heute unvorstellbar, und schnell überkam uns ein unbehagliches und beklemmendes Gefühl. Wie können Menschen zu so etwas imstande sein? Es war ein unangenehmes Gefühl, mit unserem heutigen Wissen dort zu stehen, wo so viele Menschen damals noch nichtsahnend entlangliefen. Dass es sich in Hadamar um eine Tötungsanstalt handelte, wurde damals geheim gehalten. Die Regierenden wussten, dass es zu Protesten führen würde, wenn herauskäme, was sie mit diesen Menschen tatsächlich machten. Immerhin waren es auch Familienmitglieder, um die getrauert wurde – Kinder, Mütter, Väter, Schwestern, Brüder, Onkel und Tanten. Die Nationalsozialisten taten alles, um ihr Handeln zu vertuschen. Die Menschen wurden in grauen Bussen mit zugehängten Fenstern nach Hadamar gebracht. Dort gingen sie durch eine Nebentür in das Hauptgebäude, sodass sie nicht von außen gesehen werden konnten.
Im Hauptgebäude angekommen, erklärte uns die Betreuerin, dass sich dort ein Arzt befand, der nochmals einen Blick auf die Personen warf. Der Tod stand bereits fest – nun wurde lediglich geschaut, ob die Person noch wertvolle Goldzähne hatte oder in den Augen der Nationalsozialisten eine besonders auffällige Krankheit aufwies. Mit der Untersuchung fertig, ging es in den Keller. Den Gefangenen wurde gesagt, sie sollten duschen. Wir gingen also ebenfalls in den Keller. Spätestens ab diesem Zeitpunkt hörten alle privaten Gespräche, die während der Ortswechsel geführt wurden, auf. Uns alle überkam ein beinahe unerträgliches Unbehagen. Leise und angespannt gingen wir die Treppe hinunter. Da war er: der Raum, in dem so viele Menschen ermordet, vergast wurden. Wir waren still. Die Gaskammer war mit einem Seil abgesperrt, doch man konnte alles sehen: den Boden, auf dem sie standen, und die Wände, die sie umgaben. Sogar die etwa auf Hüfthöhe sichtbaren Löcher in der Wand, durch die das Gas einst eingeleitet worden war, konnten wir noch erkennen. Nach einem kurzen Moment, in dem wir die überwältigenden Eindrücke auf uns wirken ließen, sprach die Betreuerin weiter. Sie erklärte uns, dass niemand vom Personal und keiner der Ärzte damals zu diesem Job gezwungen wurde. Sie suchten ihn sich bewusst aus. Sie hatten die Überzeugung, das Richtige zu tun. Immer noch überwältigt von dem Wissen, dass Menschen tatsächlich zu solchen Taten fähig sind, schauten wir uns weiter im Keller um und sahen einen steinernen Operationstisch, auf den die Toten mit Goldzähnen oder besonderen Krankheiten gelegt wurden. Die wertvollen Goldzähne wurden entfernt, und die Gehirne entnommen, um diese in Laboren zu untersuchen. Wir erfuhren, dass mit diesen Gehirnen erst in den 1960er-Jahren nicht mehr geforscht wurde. Weiter hinten im Keller zeigte uns die Betreuerin den Ort, an dem der Ofen stand. Dieser Ofen, einst für die Verbrennung von Müll gebaut, verbrannte nun eine Vielzahl an Menschen. Doch schnell bemerkten wir, dass hier nicht nur Grausamkeit, sondern auch Effizienz gefragt war: Der Boden zwischen der Gaskammer und dem Ofen bestand aus besonders glattem Estrich, was den Transport der Toten erleichterte. Nachdem wir uns alles noch einmal in Ruhe angeschaut hatten, gingen wir wieder nach oben. Nach einer dringend benötigten Verschnaufpause ging es weiter.
Wir saßen in einem Raum und teilten uns in Gruppen auf. Wir bekamen eine Kiste mit Gegenständen und ein Bild sowie einen dazugehörigen Lebenslauf einer Person, die einst in diese Tötungsanstalt gebracht und schließlich ermordet wurde. Die Gegenstände mussten wir anschließend den einzelnen Aspekten des Lebenslaufs zuordnen. Schließlich stellten alle Gruppen ihre Personen vor. Hierdurch erhielten wir nochmals einen tieferen, noch greifbareren Eindruck vom damaligen Geschehen. Bis jetzt wurde nur von Zahlen gesprochen – unfassbar viele Menschen. Aber jetzt hatten wir auch Gesichter und Geschichten zu diesen Zahlen. Kinder, Frauen und Männer – alles war vertreten. Zum Schluss sollten wir alle der Reihe nach ein paar Fragen beantworten: Was hat dich am meisten gestört oder verstört? Was hat dich gewundert? Und: Was hat das mit dir zu tun? Wir alle hatten so die Chance, den gesamten Ausflug noch einmal Revue passieren zu lassen.
Während der gesamten Führung zeigte uns die Betreuerin anhand verschiedenster Beispiele, wo wir auch heute wieder Anfänge eines solchen Gedankenguts erkennen können. Sie betonte, dass es wichtig ist, die Aussagen anderer, aber auch sich selbst, bewusst zu hinterfragen und zu reflektieren.
Dieser Ausflug war für uns alle eine sehr emotionale Erfahrung, und wir konnten viel neues Wissen und viele neue Erkenntnisse mitnehmen. All diese erschütternden Eindrücke haben uns auch viele Tage danach noch beschäftigt.
Lyah Schur / Mia Blackert