„Ist die derzeitige Politik nicht nur ein Machtkampf zwischen CDU und SPD ohne wirkliche Inhalte?“ Mit solchen und ähnlichen Fragen zur aktuellen politischen Auseinandersetzungen in der deutschen Gesellschaft sah sich der scheidende Landesvorsitzender der SPD in Hessen – Thorsten Schäfer-Gümbel – konfrontiert. Er war auf Einladung des Burggymnasiums nach Friedberg gekommen, sein letzter Schulbesuch vor dem politischen Ausstieg. Dass Politik natürlich auch ein Kampf um Gestaltungsmacht im Sinne der konkreten Durchsetzung von inhaltlichen Vorstellungen ist, bewies nicht zuletzt die zwischen ihm und Schülerinnen und Schülern der Leistungskurse des Faches Politik und Wirtschaft des Friedberger Burggymnasiums über 90 Minuten hinweg geführte Diskussion. Sie berührte viele, ganz unterschiedliche politische Felder, auf denen der derzeitige kommissarische Bundesparteivorsitzende Rede und Antwort stand. Nach einem anfänglichen kurzen Einblick in das Funktionieren einer Landtagsfraktion mit vielen neuen Mitgliedern wollten die anwesenden Oberstufenschüler der Stufe 13 wissen, wie der Gast die Vorgänge in Altenstadt beurteile. Hier – wie auch an anderen Stellen – räumte Schäfer-Gümbel Fehler und Versäumnisse ein. Er machte aber auch darauf aufmerksam, dass der ganze Vorgang erst dadurch ins Rollen gekommen sei, dass sich keine andere Person zur Wahl gestellt habe. Daher wies er darauf hin: „Demokratie stirbt von unten!“ In diesem Zusammenhang verwies er darauf, dass eine Demokratie engagierte Demokratinnen und Demokraten brauche. „Die Weimarer Republik ist nicht wegen zu vieler Rechtsextremisten gescheitert, sondern wegen des Mangels an engagierten Demokraten. Demokratie müsse engagiert gelebt werden.“ Dieses Plädoyer Schäfer-Gümbels wurde kritisch hinterfragt, insofern sich mehrere Wortmeldungen auf den Zustand und die Attraktivität der SPD bezogen. Dies machte sich an dem Rezo-Youtube-Video, an den Enteignungsforderungen Kevin Kühnerts oder an dem Wiedereinstieg in die Große Koalition fest. Erstaunlich offen stimmte der SPD-Landesvorsitzende dem Eindruck einer schlechten Außendarstellung seiner Partei zu, führte die damit verbundene Krise allerdings weniger auf die GroKo zurück, sondern mehr auf grundsätzliche Fragen wie Vertrauensverlust und inhaltliche Unklarheit. „Wir spüren alle, dass wir in Zeiten des Wandels leben. Die notwendige Klarheit fehlt. Für die Sozialdemokratie ist das besonders fordernd. Der Vertrauensverlust in die Lösungskompetenz der Partei in Zeiten des enthemmten Marktliberalismus, aber auch die strukturellen Probleme. Die Debatte um die GroKo erscheint mir eher Mittel zum Zweck. Sie ist aber nicht die Ursache der derzeitigen Situation.“ Die Sozialdemokratie müsse wieder deutlich machen, dass sie Antworten auf die zentrale Frage der Vereinbarkeit von Arbeit und Kapital, des Sinns und Ziels von Privatisierung sowie der sozialen Verantwortung von Reichtum habe. Sie habe sich zu wenig gegen marktradikale Entwicklungen der Vergangenheit gestellt; und deshalb sei sie – wie ihre Schwesterparteien in Gesamteuropa – in der Defensive. Schäfer-Gümbel zeigte sich dennoch hoffnungsvoll: Er wertete die derzeitige Krise als Ausdruck der inhaltlichen Neuorientierung und Veränderung in der Partei, die sich stabilisiert habe.
Teilweise argumentierte Schäfer-Gümbel sehr persönlich und gab Einblicke in innerparteiliche Entscheidungsprozesse oder familiäre Hintergründe. Er wies darauf hin, dass sein Ausstieg aus der Politik nach drei verlorenen Landtagswahlen durchaus auch als Eingeständnis eines Scheiterns gewertet werden könne, gleichgültig welche konkreten Gründe die jeweilige Wahlniederlage gehabt habe. Umso mehr freue er sich auf die für ihn persönlich anstehende berufliche Veränderung. Bei den Schülerinnen und Schüler, die die Gelegenheit zum unmittelbaren Kontakt und Austausch intensiv und kritisch nutzten, kam dies gut an: „Das war sehr angenehm, weil nicht belehrend oder gekünstelt, sondern unmittelbar und konkret“, meinte etwa eine angehende Abiturientin, die sich weitere solcher Veranstaltungen wünscht.